Dr. Luna Todaro, RomKunsthistorikerin und Kunstkritikerin
Die Muri Parlanti
(sprechende Mauern) von Birgitt Becker sind keine linearen Oberflächen, sondern emotionale Territorien. Der unmittelbaren chromatischen Wirkung folgt die Absicht, beginnend mit Farbe, Räumlichkeiten zu kreieren. Jeder Ausgangspunkt ist architektonisch definiert und begleitet den Blick des Betrachters hin zur räumlichen Konstruktion. Die Farbe ist folglich das optische Instrument für die Verbindung mehrerer alternierender Ebenen: Die Epidermis der Leinwand, die Farbe und der emotionale Raum der Form.
Birgitt Becker studierte Innenarchitektur und Design, was die Auswahl der Motive verdeutlicht, die oft Häuser, gemauerte Bögen, Türme, Straßen oder Gassen zum Thema haben. Dabei ist das Architektenauge, mit dem die Becker sich ausdrückt, charakteristisch und stark prägend für die räumliche Wahrnehmung. Die meisten Werke sind abstrakt, repräsentieren aber eine umfangreiche figurative Absicht. Beispielsweise vermittelt
arco giallo(1994) den Eindruck eines "piazza di paese", eines Dorfplatzes, umgeben von aneinander gereihtenHäusern.
Die Radierung von 1979, Haus mit Mauer
bietet, ausgehend vom Standpunkt eines einer Fensterbrüstung zugewandten Betrachters, ein eindrucksvolles Relief. Die Bildfläche kommt uns entgegen mittels eines Volumens, das - obwohl unbestimmt - an die Glätte der Valori Plastici von
Giorgio Morandi erinnert. Die Aussicht, die sich uns durch ein externes Panorama öffnet, bietet auf der gleichen Bildfläche unterschiedliche Komponenten, moduliert in fein differenzierten Grautönen - Nichtfarbe par excellence - und einziges Komplementär in sich selbst.
Die intensiven Farben spielen oft kontrastreich in einem dynamischen, mutigen Nebeneinander. Die Beziehung zwischen Kobaltblau und Ocker des
Casa Blu(1995), schafft eine unerwartete Tiefe, eine dimensionale Öffnung vom flüssigen zum festen Status. Innerhalb der gleichen Farb-Felder gibt es offene Handlungen, die die einzelnen Farbschichten der Malerei und die vielfältigen Facetten der Pinselspuren erahnen lassen.
Die Farblichkeit der Becker beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Register; immer wieder schenkt sie uns delikate Passagen, Ton in Ton: Mit
mare
(2003) nimmt sie die Suche von Weiß auf, eingeführt mit Manet's Olympia
(1863) und zelebriert durch Malewitsch's Suprematismus:
Weiß auf Weiß
(1918). Hier wird mit einer Grenzerfahrung gespielt, einer Intuition, eingegeben von sanften, farblichen Abweichungen.
Die gleiche Suche wird mit der Malerei von 1978 Trois Livres angedeutet, indem kalte Weißtöne sich untrennbar aufzulösen scheinen. Hervorgerufen durch den diagonalen Pinselduktus und die Überlagerung mehrerer sichtbarer Farbfelder wird so eine ereignisreiche Handlung mit leichten farblichen Variationen kreiert.
Der Pinselstrich der Becker ist nuancenreich, ausnahmslos lebendig, geladen mit Leidenschaft, kann aber auch sanft und luftig sein, wenn die Intuition der Elemente stärker ist und danach ruft. Aber die muri parlanti
sind nicht nur das: Rosso per Xenia
(1995) konzentriert sich auf Materie; auf die Materie, aus der sich das Wesen einer Malerei zusammensetzt. Auf der Suche der Becker wird mit vielen Materien gearbeitet. Beispielsweise das der durchtrennten Leinwand, eine Geste in Erinnerung an Fontana; das der intensiven Farbe in der Körperlichkeit der Vermischung der Pigmente,
ausgestattet mit einem eigenen Körper besonderer Konsistenz und einem spezifischen Gewicht. Auf diese Weise wird dem optischen Aspekt auch das haitische Erlebnis hinzugefügt, und somit schließt sich der Kreis der Wahrnehmung. ©Dr. Luna Todaro, Rom
Siehe nachstehender Link
mit Abbildungen der Malereien zum Artikel
Poesie von Rino Molinari, Rom, 1998
mauern ...
mauern die begrenzen
mauern die einschließen
mauern die befestigen
hohe und niedrige mauern
mauern von Häusern
die sich hinter einzäunenden Mauern zeigen.
Immer wiederkehrende Elemente der Malereien von Birgitt Becker die Panoramen und Reflektionen kreiert.
Mauern und Häuser die scheinbar beobachten wer sie beobachtet um immer wieder dieselbe Frage zu stellen – warum? ...
Und alle unsere „warum“, auch die Verborgensten scheinen sich langsam, ganz langsam aufzulösen durch die Farben und das Licht dieser Mauern.
Ich kenne keine Arbeit, die die formale Strenge des Bauhaus mit der Lebenslust Italiens so poetisch verbindet wie diese Malereien. (2011)
Sebastiano Ranieri, President AIPi (Associazione Italiana Progettisti d'Interni), Mailand:
Muri Parlanti: Die Farbgebung dieser Malereien übeträgt die Freude des Lebens.
Muri Parlanti: l'uso del colore di questi dipinti trasmette la gioa della vita.(2011)
Anna-Maria Carbone,
Consulente e formatrice in comunicazione strategica:
Le opere di Birgit Becker esprimono in chiave moderna quanto di più antico e bello esiste nell’animo umano. Forme, proporzioni, volumi. La pittrice usa linguaggio del segno e del colore per raccontare la straordinarietà della vita.(2018)
Karl-Heinz Schreiner,
Verlagsleiter i.R., Kunstliebhaber
100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses entwickelt Birgitt Becker eine reduzierte (less is more), architektonisch geprägte Formensprache, die - mit den klar voneinander abgesetzten, geometrischen Formen - an die Tradition des russischen Konstruktivismus und des niederländischen De Stijl erinnert. Ihre klaren, abstrakt-geometrischen Formen - bestehend aus horizontal und vertikal verlaufenden linearen Elementen - stehen in beeindruckendem Widerspruch zu der emotional-lebendigen Textur der Farben.
Die in mehreren übereinander gelagerten Farbschichten erzeugte Farbigkeit - die sich erst im Auge des Betrachters mischt - kommt Signalwert zu. Benutzt werden hauptsächlich die Primärfarben Rot, Blau und Gelb und die „Nicht-Farben“ Grau, Schwarz und Weiß.
Während die Formen physikalisch-reale Abstraktion signalisieren, vermittelt die Farbanmutung lebendige, fast metaphysische Geheimnisse. Diese Spannung aus klarer, abstrakter Form und lebendiger, emotionaler Farbgebung verleiht den Bildern von Birgitt Becker ihren unvergleichlichen Flair. (2017)